Sport und Bewegung sind ja durchweg als „gesunde Verhaltensweisen“ anerkannt. Es zeigt sich sogar in Studien, dass allein die Erwartungshaltung, dass sich durch die Aktivität eine Verbesserung ergeben wird, bereits einen Effekt hat. Dimeo schrieb bereits 2001 in seiner Studie mit Krafttraining und Depression*:
„… Dagegen war ein solcher „Placebo-Effekt“ in der leicht trainierenden Gruppe nachzuweisen: Je mehr ein Teilnehmer einen antidepressiven Effekt erwartet hatte, umso deutlicher fiel dieser auch trotz der geringen Trainingsbelastung aus.“
Depressive berichten fast durchweg, dass sie sich so kraftlos fühlen. Dabei ganz einfach erst mal die Muskulatur zu kräftigen scheint ein einfacher Ausweg, doch muss das Training natürlich auf die aktuelle Fitness abgestimmt sein, damit sich der Betroffene nicht durch übertriebenen Sport kraftlos macht und sich somit noch mehr in den Abgrund zieht. Auch ist bereits vielfach bewiesen, dass Ausdauerbelastungen kognitive Leistungen verbessern. Kognitive Störungen wie z.B. Konzentrationsstörungen prägen das Bild von Depressiven und Angstgestörten.
Enorm spannend ist dabei auch eine Betrachtung der Biologie: Körperliche Aktivitäten entfachen ein wahres Feuerwerk an Hormonen. Welchen Hormoncocktail Du Dir im Sport zaubern kannst, kannst Du in unserem Newsletter „Sport und Hormone“ vom Februar diesen Jahres nachlesen. Zu nennen seien hier vor allem die Endorphine, gleichzeitig Serotonin, Noradrenalin und Dopamin sowie Cortisol bis hin zu den Wachstumsfaktoren (BDNF), die wie ein Antidepressivum wirken. An dieser Stelle wird auch gerne mit der Neurotransmitter-These argumentiert, denn viele Antidepressiva bauen ihr Wirkkonzept darauf auf.
Auch das Stress-Modell kommt zum Tragen: Depressive haben gern ein Ungleichgewicht im autonomen Nervensystem, der Sympathikus (= das aktivierende Nervensystem) ist zu aktiv, sie sind ständig auf „Kampf und Flucht“ eingestellt; gleichzeitig ist der Parasympathikus (= das beruhigende Nervensystem) zu gering; anhand von HRV-Messungen (= Bestimmung der Herzratenvariabilität) kann das abgebildet werden. Die körperliche Bewegung kann genau dieses Zusammenspiel aus Sympathikus und Parasympathikus regulieren, aktive Menschen haben eine durchweg bessere Herzratenvariabilität.
Weitere Effekte sind, dass Erregungen abgesenkt werden. Bei Prüfungsangst hilft es, einfach mal „um den Block gehen“. Der Abwärtsspirale mit Niedergang der Fitness, oft verbunden mit Herzrasen, Schwitzen, Erschöpfung und Müdigkeit wird entgegengewirkt. Ein empfundener Kraftzuwachs hilft, sich auch in schweren Situationen nicht mehr so kraftlos zu fühlen. Menschen mit Depressionen erleben sich als „leer“ und „sinnlos“. Ein Bewegungsprogramm wird dabei oft als „sinnvoller Lebensinhalt“ verstanden.
Vor allem bei Angststörungen ist sportliche Aktivität wichtig als Konfrontationsübung: Die Trainingseinheit muss aber ausreichend lang sein, damit der Ängstliche erfährt, dass der befürchtete Herzinfarkt oder ein Zusammenbruch nicht erfolgen und Körperreaktionen wie schneller Herzschlag, Schwitzen, Muskelziehen völlig normal sind. Viele Angstgestörte fragen sich: „Habe ich Angst, weil mein Herz rast, oder rast mein Herz, weil ich Angst habe“; beide Blickrichtungen können gleichermaßen zutreffen.
Für Depressive ist Bewegung eine wertvolle Übungsmöglichkeit, Antriebslosigkeit und Passivität zu durchbrechen. Depressive haben das Gefühl, „in der Falle zu sitzen“ und „keine Lösung zu sehen“ Sportliche Aktivität liefert hier einen Ausweg im Sinne der Selbstregulation: Das Selbstvertrauen wird gestärkt, man ist wieder Herr der Lage. Die Depression wird gerne als „Gefühl der Gefühllosigkeit“ bezeichnet. Die Bewegung schafft definitiv körperliche Erlebnisse; ideal ist es, wenn der Aktive nach dem Sport Zeit für das „Nachspüren“ einplant. Allein das Einnehmen einer aufrechten Haltung (statt den Kopf hängen zu lassen) bessert die Befindlichkeit.
Die Forscher resümieren:
„Aus den genannten Phänomenen lässt sich ableiten, dass der menschliche Haltungs- und Bewegungsapparat nicht nur ein Exekutivorgan des Gehirns zur Ausführung von Handlungen ist, sondern auch in die Wahrnehmung und Verarbeitung emotionaler und kognitiver Vorgänge komplex eingebunden erscheint.“
Unter diesem Gesichtspunkt können Bewegung und Sport dazu führen, dass der Organismus in einen Zustand versetzt wird, der positive Signale an das Gehirn sendet, die mit typischen zu Angst und Depression passenden Signalen nicht vereinbar sind. In der im Dezember 2009 veröffentlichen S3-Leitlinie / Nationale Versorgungsleitlinie* zur Unipolaren Depression heißt es weiter: „Körperliches Training kann aus klinischer Erfahrung heraus empfohlen werden, um das Wohlbefinden zu steigern und depressive Symptome zu lindern.“
In der Studie der Cochrane Collaboration* – einer Zusammenfassung weltweit durchgeführter Studien zu Sport und Depression – heißt es zusammenfassend:
1. Sport wirkt bei Depressionen vergleichbar gut wie kognitive Verhaltenstherapie.
2. Sport wirkt vergleichbar wie Antidepressiva.
3. Der Effekt aeroben Sporttreibens auf Depressionen ist mäßig, aber wahrscheinlicher. Der Effekt von Krafttraining auf Depressionen erscheint stark, dafür aber weniger gesichert.
4. Vier von acht Studien sprechen für einen Zusammenhang von Fitnessgrad und Depressivität.
So, nun hast Du die Wahl. Entscheide Dich für die Bewegung und mach einen Stoffwechsel-Check, wir geben Dir daraus das Handwerkszeug, in Bewegung zu kommen und vor allem dabei zu bleiben.
*Quellen:
- Dimeo, F. et al.: Benefits from aerobic exercise in patients with major depressive disorder: a pilot study Br. J. Sports Med. 35: 114-117 (2001)
- Bundesgesundheitsblatt, S3-Nationale Versorgungsleitlinie Depression, S. 451 ff
- The Cochrane Collaboration. Exercise for depression (Review) 2010