Könnte man der Entwicklung des menschlichen Gehirns zusehen, wäre sicherlich jeder beeindruckt, wie Millionen von Nervenzellen durch Zellteilung gebildet werden und sich zu Zellhaufen formen. Nun geht es darum, dass diese miteinander in Kontakt treten und sich verbinden. Bereits

„ab der 7. Schwangerschaftswoche lässt sich beobachten, wie der in der Fruchtblase schwimmende Embryo erste, noch sehr unkoordinierte Bewegungen ausführt.“*

beginnt Hüther seine Ausführungen zur Entwicklung des menschlichen Gehirns. Anfangs sind es nur Zuckungen, doch bald treten diese Nervenenden mit den Muskelzellen in Kontakt. Kurz darauf werden die Muskeln gezielt angesteuert, und diese geben dem Gehirn über die Muskelspindel Rückmeldung über den Dehnungszustand, erste Verschaltungsmuster bahnen und stabilisieren sich.

„Von Anfang an findet das Lernen also durch Nutzung und Übung der entsprechenden Körperfunktionen statt.“*

Die ersten Bewegungsmuster werden somit schon vor der Geburt im Gehirn verankert.

Das Ungeborene im Bauch bekommt über die Hormone alles mit, vom Stress der Mutter über Freude und Ärger sowie natürlich alle Bewegungen. Auch über den Gefühlszustand der Mutter weiß der Embryo Bescheid, da Gefühle hormonell gesteuert werden. Über die Bewegung wird ein ganzer „Hormoncocktail“ (Adrenalin, Endorphine, Serotonin, Melatonin, Cortisol u.a.) ausgeschüttet; somit kann davon ausgegangen werden, dass das Ungeborene auch über das Bewegungsverhalten der Mutter beeinflusst wird und somit bereits vor seiner Geburt wohl eine gewisse Bewegungsaffinität annimmt. Es lohnt sich daher in der Schwangerschaft nicht nur für die Mutter, in Bewegung zu bleiben.

Auch nach der Geburt wird die Hirnentwicklung maßgeblich von der Bewegung beeinflusst. Vor allem durch neue Bewegungserfahrungen – und das gibt es im kindlichen Alltag zuhauf – aktivieren sich im Gehirn neue Verschaltungsmuster der Nervenzellen und Synapsen. Nicht umsonst heißt es: „Herumturnen macht schlau!“ Je verzweigter diese Muster sind, desto reichhaltiger wird das Spektrum an Reaktionen, das der heranwachsende Mensch zur Lösung von Problemen einsetzen kann. Den natürlichen Bewegungsdrang des Kindes einzuschränken und Bewegungsangebote nicht zu fördern, schränkt somit die Hirnentwicklung des Kindes massiv ein und hemmt sie. Neben Schulsport und Verein muss es daher das Ziel sein, viele Bewegungsangebote zu schaffen, also vor allem in der Familie mit den Kindern aktiv zu sein.

Der Artikel „Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit durch Bewegung“ aus der Schriftenreihe Schulsport beginnt mit dem Satz:

„Seit einiger Zeit ist bekannt, dass Sport und Bewegung nicht nur die körperliche, sondern auch die geistige Leistungsfähigkeit optimieren kann (…). Dabei haben Wissenschaftler herausgefunden, dass die Gehirnleistung von Kindern und Jugendlichen durch gezielte körperliche Betätigung verbessert werden kann.“

Gerade in den letzten 20 Jahren hat die Hirnforschung eine enorme Entwicklung hingelegt, da moderne bildgebende Verfahren versierte Einblicke in die Struktur und vor allem Funktionsweise des Gehirns geben. Der Haupttenor ist die bis dahin nicht bekannte sogenannte Neuroplastizität des Gehirns: Dies bedeutet, dass das Gehirn kein starres, nach Vollendung der Wachstumsphase ausgereiftes und nicht mehr veränderbares Organ ist, sondern durch äußere Einflüsse (wie in unserem Thema Bewegung und Sport) bis ins höchste Alter beeinflusst werden kann. Es liegt also an jedem selbst, sein Hirn durch Neubildung von Nervenzellen positiv zu verändern. Bereits 1998 wurde dies von Eriksson erstmals beobachtet. Spitzer definiert diese sogenannte „Neuroplastizität“ in der Form, dass das Gehirn die Fähigkeit besitzt, „sich beständig den Erfordernissen seines Gebrauchs anzupassen.“* Begründet werden diese Effekte durch die gesteigerte Durchblutung und den damit verbundenen Anstieg sog. neurotropher Wachstumsfaktoren, die die Neubildung von Nervenzellen und deren Vernetzung begünstigen. Gleichzeitig wirkt sich die verbesserte Durchblutung auch direkt im Sinne einer verbesserten Konzentrationsfähigkeit aus, da mehr Sauerstoff ins Hirn gelangt und der Stresshormonspiegel abgesenkt wird. Prof. Hollmann von der Sporthochschule Köln konnte bei Fahrradergometerbelastungen eine Mehrdurchblutung der Gehirnareale um bis zu 30 % nachweisen. Da verwundert es nicht, dass sich viele nach der Sporteinheit als „geistig frisch“ empfinden.

Einschulung und Einstuhlung

Nicht erst seit der PISA-Studie wissen wir, wo das deutsche Schulsystem kränkelt bzw. Schwächen aufzeigt, die Defizite wurden längst identifiziert. „Bislang blieb aber zur Behebung identifizierter Defizite der Blick auf die positiven Effekte von Bewegung weitgehend unberücksichtigt.“* Biologisch notwendige Entwicklungsreize bleiben weitgehend aus, da sich Schüler heutzutage im Durchschnitt nur noch eine halbe Stunde bewegen. Mit der Einschulung erfolgt also auch die „Einstuhlung“, das „Spielkind wird zum Sitzkind“ erzogen mit den damit verbundenen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen. Begünstigend kommt hier natürlich das massiv veränderte Freizeitverhalten unserer Kinder und Jugendlichen dazu, das sich heute überwiegend hinter Bildschirmen (egal ob auf PC, Tablet oder dem Smartphone) abspielt.

Aus diesen Tatsachen heraus wurden schon einige Forschungsprojekte für Schulen kreiert: Das Kultusministerium gab hierzulande für die Grundschulen das Programm „voll in Form“ heraus. Für Mittel- und Realschulen sowie Gymnasien sollten die wissenschaftlichen Erkenntnisse noch mehr geballt und in 15-minütigen Kurzinterventionen zusammengefasst werden. Hier wurde beispielsweise von der Uni Bamberg ab 2011 das Modellprojekt BekoAkt kreiert, übersetzt mit „Bewegung zur kognitiven Aktivierung“. 2016 fand dieses Konzept dann als Modellprojekt erstmals Anwendung im Meranier Gymnasium Lichtenfels. Neben dem sichtlichen Spaß der Schüler an dem Programm statuierten einige schon nach kurzer Zeit, dass sie subjektiv Verbesserungen an sich selbst wahrnehmen konnten. Auch die Lehrkräfte, die die Programme an den Schülern durchführten, stellten fest, dass diese danach konzentrierter und zielorientierter arbeiteten. Ob das Programm bayern- oder gar deutschlandweit an Schulen empfohlen und eingesetzt wird, wird sich zeigen. Unbestritten bleibt, dass Bewegung das Hirn mit Sauerstoff flutet, somit Aufmerksamkeit fördert, Konzentration bessert und Gedächtnisleistung stärkt. Lernen und Denken fallen somit leichter.

In diesem Sinne: Beweg Dich für ein gesundes Hirn!

*Literaturquellen: 

  • Bewegung: Hüter, G.: „Sich zu bewegen lernen heißt für´s Leben lernen.“ gerald-huether.de
  • Spitzer, M.: „Geist im Netz.“ Heidelberg 1996
  • Walk, L.: „Lernrelevante Erkenntnisse der Gehirnforschung. Bewegung formt das Gehirn.“ In: Die Zeitschrift für Erwachsenenbildung 2011, 1, 27-29.

Bildquelle: pixabay.com/ lucdecleir (14.10.2018)

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