Irmgard Wismar leidet unter Depressionen. Dafür holte sie sich in der Vergangenheit professionelle Hilfe in Form einer ambulanten und auch stationären Therapie. Sie weiß vor allem durch letztere Maßnahme, dass Bewegung gut für sie ist, denn sie hat es während des Aufenthalts in der Klinik am eigenen Leib erfahren. Doch im häuslichen Alltag tut sich Irmgard schwer, ihre Bewegungsvorhaben aus eigener Kraft in die Tat umzusetzen, v.a. wenn sie in einer depressiven Krise hängt. Gerade zu einem solchen Zeitpunkt wäre die Bewegung hilfreich, um – angestachelt durch die körperliche Aktivität – die Probleme, die hinter einer Depression stecken, anzugehen. Das Projekt „Fit bis 100“ kommt ihr daher wie gerufen. „Jetzt zeige ich es meinem inneren Schweinehund“, denkt sie.
Da wir in den Diagnostikzentren auch psychosomatische Patienten testen und ihnen Bewegungsempfehlungen und Richtlinien für ihre Zeit nach dem stationären Aufenthalt vermitteln, kommt mir die Bewerbung von Irmgard für das Seniorenprojekt wie gerufen. Sie ist durch ihre Vorgeschichte eine gesetzte Kandidatin, bei der ich unglaubliches Potential sehe – wenn wir sie denn in Bewegung bringen, was bei Depressionen nicht einfach ist. Die Betreuung von Irmgard zeigt es dann auch: Beim ersten Treffen tut sich Irmgard sehr schwer, beim Tempo der Gruppe mitzuhalten. Unser im Projekt mitwirkender Helmut Bräuer kümmert sich rührend um Irmgard, die bereits bei leichten Anstiegen Schweißausbrüche bekommt. Dementsprechend muss sie ein langsames Gehtempo ansetzen, um den Puls im Fettstoffwechselbereich, der sog. aeroben Zone halten zu können. (nähere Ausführungen, warum dieser Bereich wichtig ist, findest Du am Ende dieses Kapitels).
Oft kam Irmgard bei der weiteren Umsetzung meiner Bewegungsvorschläge auch der innere Schweinehund in den Weg, der ihr ins Ohr flüsterte: „Heute ist es doch zu kalt, morgen zu nass, und übermorgen ist es dann zu heiß“. Doch eine Chance sah ich für sie, weil sie Spaß an einem Aqua-Spinning-Kurs gefunden hatte. „Da sieht zumindest keiner, wie stark man schwitzt“. Neben diesem Kurs schafft es Irmgard aber zunehmend, sich zu aktivieren und den Hormoncocktail aus Serotonin und Endorphinen anzukurbeln. Sie ist viel zu Fuß unterwegs und dehnt ihre Walking-Runden systematisch aus. Die Belohnung für ihre Aktivitäten ist, dass sie sich danach deutlich besser fühlt und gleichzeitig Energie bekommt, die Probleme des Alltags anzugehen und zu lösen.
Für ihre inzwischen vielen gewalkten und gewanderten Kilometer wurde Irmgard dann durch den zweiten Leistungstest belohnt. Gleichzeitig war der Retest ein handfester Motivationsschub für sie. Sie konnte ihre Fitness deutlich steigern. Inzwischen kommt Irmgard an Steigungen wesentlich weniger schnell in die Atemnot. Sie weiß, dass sie Verbündete im Kampf mit dem inneren Schweinehund braucht, daher ist Irmgard auch die treibende Kraft bei den aktiven Senioren, wenn es um weitergehende Aktivitäten außerhalb des betreuten Projekts geht. Sie, die es zunächst selbst nicht schaffte, raus zu gehen und sich zu bewegen, motiviert nun andere Leute, aktiv zu sein und sich bei Treffen gemeinsam zu unterstützen. Ist das nicht ein wunderbarer Wandel?
Daher mein Fazit: Bewegung und Aktivität wirkt nicht nur ausschließlich auf den Körper, sondern in großem Maße auch auf die Psyche. Das hat Irmgard intensiv verspürt. Und den stimmungsaufhellenden Effekt kannst Du Dir zunutze machen. Binde also gleich Deine Sportschuhe und drehe eine Runde draußen im Wald, bevor Du weiterliest. Du wirst sehen, wie frisch und aufnahmefähig Dein Hirn nach einer (wenn auch kurzen) Bewegungspause ist.